Predigt zum 6. Sonntag nach Trinitatis am 27.07.2025 anlässlich des 150. Geburtstags der Pfarrgemeinde

gehalten von Pfarrer Markus Lintner

 

Predigttext:  1. Petr. Kap. 2

Liebe Schwestern und Brüder,

seit etwas mehr als 6 Monate bin ich jetzt Opa. Mein Enkel Jonathan hat in dieser Zeit eine rasante Entwicklung hingelegt, kann unterdessen nicht nur liegen, sondern auch schon einigermaßen stabil sitzen und freut sich seitdem, beim Essen am Familientisch einen Platz zu haben. Mit großer Begeisterung lutscht und zermalmt er jetzt seine Mahlzeiten, egal ob Banane, Marille, Avocado, Süßkartoffel oder ähnliches. Und wenn der Nachschub versiegt, dann wird der junge Mann ganz ungehalten.

Aber noch ist dieser Teil seiner Nahrung nur eine nette Zugabe. Dass er sein Geburtsgewicht bereits verdoppelt hat, das liegt an der Muttermilch, die er noch immer mit großer Leidenschaft trinkt. Und da kennt er keinen Spaß: den Versuch, ihm eine Folgemilch im Flascherl einzuflößen, hat er 6 Stunden erfolgreich abgewehrt, bis endlich wieder Mamas Busen zur Verfügung gestanden ist. Er weiß einfach: es gibt für ihn noch nichts Besseres!

Hört dazu Worte aus dem 1. Petrusbrief, aus dem 2. Kapitel:

2 Wie neugeborene Kinder nach Milch schreien, sollt ihr nach dem echten Wort verlangen. Dadurch wachst ihr im Glauben heran, sodass ihr gerettet werdet. 3 Denn ihr habt ja bereits schmecken dürfen, wie gut der Herr ist. 4 Kommt her zu ihm! Er ist der lebendige Stein, der von den Menschen verworfen wurde. Aber bei Gott ist er erwählt und kostbar.  5 Lasst euch auch selbst als lebendige Steine zur Gemeinde aufbauen. Sie ist das Haus, in dem Gottes Geist gegenwärtig ist. So werdet ihr zu einer heiligen Priesterschaft und bringt Opfer dar, in denen sein Geist wirkt. Das sind Opfer, die Gott gefallen, denn sie sind durch Jesus Christus vermittelt. 6 Deshalb heißt es in der Heiligen Schrift: »Seht, ich lege auf dem Berg Zion einen ausgewählten, kostbaren Grundstein. Wer an ihn glaubt, wird nicht zugrunde gehen.« 7 Für euch ist er kostbar, weil ihr an ihn glaubt. Aber für diejenigen, die nicht an ihn glauben, gilt: Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, ist zum Grundstein geworden. 8 Er ist ein Stein, an dem man Anstoß nimmt, und ein Fels, über den man stolpert. Sie stoßen sich an ihm, weil sie dem Wort keinen Glauben schenken. Doch genau dazu sind sie bestimmt. 9 Aber ihr seid das erwählte Volk: eine königliche Priesterschaft, ein heiliges Volk, eine Gemeinschaft, die in besonderer Weise zu Gott gehört. Denn ihr sollt die großen Taten Gottes verkünden. Er hat euch nämlich aus der Finsternis in sein wunderbares Licht gerufen. 10 Ihr, die ihr früher nicht sein Volk wart, seid jetzt Gottes eigenes Volk. Ihr, die ihr früher kein Erbarmen fandet, erfahrt jetzt seine Barmherzigkeit.

Liebe Schwestern und Brüder, unverfälschte Nahrung sollen wir fordern. Die Quelle dieser Nahrung ist die Bibel, in der uns Gottes Wort begegnet, aufgeschrieben von einer großen Schar an Glaubenszeugen, die uns ihre Erfahrungen und Erlebnisse mit Gott in der Heiligen Schrift näherbringen.

Seit 2000 Jahren ernährt sich diese Kirche auf diese Art und Weise. Und auch wir als Evangelische Pfarrgemeinde in Mödling haben gut daran getan, diese Quelle und Richtschnur des Glaubens ins Zentrum zu stellen.

So haben wir ein stabiles Fundament geschaffen, dass unsere Gemeinde trägt. Jesus Christus ist dabei als lebendiger, kostbarer Grundstein zugrunde gelegt und auf ihn bauen wir, aus ihm leben wir, an ihn glauben wir, auf ihn hoffen wir.

150 Jahre lang hat unsere Pfarrgemeinde so gelebt, zwei Weltkriege, das Ende der Monarchie, die Hippiezeit, die Los-von-Rom-Bewegung, den Aufbruch ins Zeitalter der Ökumene und eine Jahrtausendwende miterlebt.

Das alles wäre nicht geglückt, wenn nicht ganz viele Menschen Jesus Christus als Fundament ihres Lebens erkannt und als lebendige Steine diese Gemeinde gebaut und getragen hätten.

Unser erster Kurator etwa, Heinrich Rupprecht, hat nicht nur das Grundstück gestiftet, auf dem unsere Kirche heute steht, sondern auch das gesamte Bauholz zur Verfügung gestellt, das zur Errichtung nötig gewesen ist.

Unser erster Pfarrer Johann Heck war ein geschickter und umtriebiger Sammler von Spenden aus dem ganzen Kontinent. Nur so konnte die Pfarrgemeinde nach 30 finanziell harten Jahren den Bau von Kirche und Pfarrhaus ausfinanzieren.

Generaldirektor Schüler hat sowohl den Ankauf des Grundstücks von unserem Gemeindehaus vermittelt, sowie das ganze Gebäude gestiftet, das seitdem einen zentralen Platz im Gemeindeleben innehat.

Der Uropa von Roland Stiller, nämlich Pfarrer Wenzel Stiller, ist ein umtriebiger Hirte mit viel Elan, der es nicht nur schafft, die Pfarrgemeinde durch den 1. Weltkrieg zu manövrieren, sondern kurz vor seinem Tod auch noch die erste Gemeindezeitung, nämlich die „Monatlichen Mitteilungen aus der Evangelischen Gemeinde Mödling – Liesing“ initiiert. Aus seiner Feder stammt auch der Großteil der Jubiläumschronik anlässlich des 50jährigen Bestehens unserer Pfarrgemeinde.

Die Familie Müller ist wohl manchen von euch in Erinnerung. Papa Müller ist Schatzmeister und in der Kanzlei sowie als Küster tätig, sein Sohn und dessen Frau übernehmen später diese administrativen Tätigkeiten und prägen so für mehr als 10 Jahre das Gesicht unserer Pfarrgemeinde.

1979 wird Gertraud Roth eine der ersten weiblichen Kuratorinnen in Österreich, eine Frau, vor der auch Pfarrer Heine großen Respekt hatte.

Wie sehr Klaus Heine, Friedl Legat und Erna Moder die Gemeinde geführt und geprägt haben, brauche ich nicht extra zu erwähnen. Und auch auf Schwester Ilse möchte ich nicht vergessen, die zuerst als Gemeindeschwester, dann als Religionslehrerin viele Menschen in dieses Gemeindegebäude hinzugefügt hat.

Es gibt aber auch dunkle Kapitel in dieser Zeit. Wenn in unserer „Chronik“ zu lesen ist, dass am 11. März 1938 die Sitzung der Gemeindevertretung abgebrochen wurde, als bekannt wurde, dass Schuschnigg abgedankt und den Weg für Hitler freigemacht hat und die Mitglieder daraufhin das Pfarrhaus unter lauten „Sieg Heil“-Rufen verlassen haben, dann zeigt das für mich, dass bei allem Streben nach der unverfälschten Nahrung wohl immer wieder auch verdorbene Lebensmittel den Weg in das Haus unserer Gemeinde gefunden haben.

Als lebendige Steine sind es heute wir, die diese Gemeinde mitgestalten. Und es ist unsere Aufgabe, dabei die Sehnsucht nach dieser unverfälschten Nahrung am Leben zu halten bzw. ganz neu zu wecken. In unseren Familien und bei unseren Freunden, am Arbeitsplatz und im Verein, im Religionsunterricht, in Banjole, auf Seniorenfahrt, bei der Klimaoase.

Dazu ist es notwendig, das Wort Gottes auch in unsere Zeit zu übersetzen, um es in Beziehung zu setzen zu den An- und Herausforderungen unserer Zeit. Dabei ist es erstaunlich, wie aktuell viele Themen der Bibel nach wie vor sind und wie viel wir von ihr für unser Leben lernen können.

Gleichzeitig gibt es Erkenntnisse der modernen Theologie, die mich manche Aussagen der Heiligen Schrift neu lesen oder sogar kritisch hinterfragen und hin und wieder neu interpretieren lassen. Niemand in der Evangelischen Kirche wird etwa heute noch in die Forderung des Apostel Paulus einstimmen und fordern, dass die Frau in der Gemeinde schweigen soll. Wir leben ja jetzt schon 17 Jahre ganz gut mit einer Pfarrerin und auch sonst sind Frauen bei uns immer ganz vorn dabei.

Natürlich besteht die Gefahr, zeitgeistige Theologie zu machen, mich zu sehr an den gesellschaftlichen Normen zu orientieren, wie der Blick in das Jahr 1938 zeigt. Deshalb ist der Dialog, das Miteinander im Gespräch sein und bleiben, ist also die Gemeinschaft, die Gemeinde von so zentraler Bedeutung.

Im 1. Petrusbrief werden wir als heilige Priesterschaft bezeichnet. Und nein, das meint ganz sicher nicht nur uns Pfaff*innen. Wir alle sind Kirche, wir alle sind Gemeinde, in der Gottes Geist wirkt.

Nächsten Samstag darf ich meinen Enkelsohn taufen. Ich freue mich, dass es meiner Tochter und ihrem Mann wichtig ist, dass ihr Kind getauft wird. Dass er in diesen Bund zwischen Gott und den Menschen mithineingenommen wird.

So wird auch schon der kleine Jonathan zu einem lebendigen Stein in unserer Gemeinde.

Mit ist bewusst: die Taufe ist ein Startpunkt. Es wird mehr brauchen als das. Er wird seine eigenen Erfahrungen machen müssen, um Christus kennenzulernen. Um so zu leben, dass sein Glaube ein tragbares Fundament für sein Leben wird.

So ist es ja auch noch bei uns. Es braucht die immer wieder neue Erkenntnis, dass uns Gott in Jesus Christus selbst begegnet ist. Dass er kostbar für uns ist. Und dass wir durch ihn zur heiligen Priester*innenschaft gehören, zu dem Volk, dass in besonderer Weise Gott gehört. Durch ihn sind wir ins Licht gerufen.

Im Jahr 2000 schrieb unsere damalige Kuratorin Erna Moder im Vorwort der Festschrift: „Vor allem sei Dank unserem Schöpfer, der diese Gemeinde mit großer Geduld und Liebe durch 125 Jahre geführt und dabei manche Fehlleistung und manche Unterlassung verziehen hat. Aus dieser Vergangenheit lernen wir, in der Gegenwart leben wir, in die Zukunft aber gehen wir auf einem Weg voll Hoffnung. Dieser Weg hat einen Namen: Jesus Christus.“

Ich freue mich, dass ich diesen Weg seit fast 25 Jahren mit euch als Gemeinde gehen durfte. Und hoffe und bete, dass Gott uns noch viele Jahre in dieser Gemeinde wirken lässt. Um weiterhin Gusto zu machen auf diese lebensverändernde, Vertrauen schenkende und Trost spendende, unverfälschte Nahrung: Gottes Wort. Er schenke uns dazu seinen Geist und seinen Segen. Amen.